Mein Seetagebuch – Teil 1

 

 

 

Mit gemischten Gefühlen trete ich die Heimreise an. Wie wird es sein, wenn man so viele Tage nur Wasser um sich hat? Und wie wird es sein mit diesen vielen Unterhaltungsprogrammen an Bord? Muss ich daran teilnehmen? Will ich daran teilnehmen? Wie werden meine Mitreisenden sein? Fragen über Fragen …

Tag 0

Einschiffung. Ich wurde gebeten, pünktlich um 14:15 Uhr am Terminal zu erscheinen. Da wir nicht wissen, wie stark der Verkehr sein wird und wie lange wir bis zum Pier brauchen, suchen wir uns früh genug ein Taxi und sind um 12:00 Uhr am Treffpunkt. Kaum ausgestiegen, sind meine Koffer auch schon von freundlichem Personal in Empfang genommen. Na, das geht ja flott!

Nach der traurigen Verabschiedung von meiner Freundin, die nun auch wieder nach Hause fliegt (übrigens mit einem ähnlichen Desaster wie bei meinem Hinflug, wie ich später erfahre), mache ich mich auf die Suche nach dem Boarding-Schalter. Die Formalitäten sind superschnell erledigt und schon sitze ich in der Wartehalle – zusammen mit meinen zukünftigen Nachbarn.

Ich bin einigermaßen erstaunt. Entweder hat niemand die Kleiderordnung von Cunard gelesen oder einfach nicht ernst genommen. Jedenfalls sehe ich kurze Hosen, bunte T-Shirts, Jogginghosen und Joggingschuhe – alles Dinge, die allenfalls im Pool-Bereich geduldet werden. Und ich stelle fest, dass ich zu denjenigen gehöre, die den Altersdurchschnitt senken. Auch mal nett.

Nach dem überpünktlichen Einschiffen, das bei rund 2500 Passagieren ohne Stau vonstatten geht, betrete ich meine luxuriöse Kabine. Großes Bett, Schreibtisch, Sitzecke mit Blick aus dem Fenster, ein wunderbares Badezimmer – hier kann ich es aushalten.

Als Erstes stellt sich mein Zimmersteward vor: Rudi. Sollte ich Hilfe benötigen, soll ich ihn bitte anrufen. Ist aber gar nicht nötig, denn er steht sowieso fünf Mal am Tag vor der Tür, wie ich noch feststellen werde.

Zum Abendessen bin ich für 20:00 Uhr im Nobelrestaurant eingeteilt (um smart attire (elegante Abendgarderobe) wird gebeten).

Auch hier wieder die verschiedensten Outfits, von wunderbar elegant bis sehr lässig (bunte Hemden mit kurzen Ärmeln – ein No Go laut Kleiderordnung). Man wird also nicht rausgeworfen, wenn man sich nicht angemessen kleidet. Oder man hat am ersten Tag noch so was wie eine Gnadenfrist.

Ich sitze an einem Tisch mit zwei Pärchen. Nach zögerlichem Austausch von Höflichkeiten kommt man dann doch ins Plaudern und es wird ein vergnügliches Abendessen. Fünf Gänge stehen zur Auswahl, die Portionen sind angemessen, so dass auch noch Platz für das Dessert ist. Ich bestelle als Hauptgang ein Steak, das leider so voller Fett und Sehnen ist, dass sich das Vergnügen in Grenzen hält. Es versteht sich natürlich von selbst, dass ich in einer solch edlen Umgebung keine Fotos mache.

Ich erfahre, dass die Dame rechts neben mir ohne Gepäck dasteht. Ihre Koffer hatte man in Los Angeles auf dem Flughafen vergessen. Ein Alptraum! Die Dame links neben mir bietet gleich ihre Hilfe an – nicht mit Kleidung (das hätte auch nicht funktioniert), sondern als Einkaufsberaterin für den nächsten Morgen. Luxusgeschäfte sind auf dem Schiff ausreichend vorhanden.

Nach dem Essen verabschieden wir uns und wünschen uns eine gute Nacht, nachdem wir uns versichert haben, wie schön es war, dass wir uns kennengelernt haben.

Zurück in meiner Kabine steht Rudi schon mit dem Tagesprogramm für den nächsten Tag bereit und fragt, ob er mein Badezimmer noch richten und mein Bett aufschlagen soll. Beides lehne ich dankend ab, was er einigermaßen konsterniert akzeptiert.

Ich räume noch weiter meinen Koffer aus und gehe dann zu Bett.

Tag 1

Nach der Lektüre des Tagesprogramms entscheide ich mich für drei Veranstaltungen.

Als Erstes steht um 9:15 Uhr das Get-Together der Alleinreisenden auf dem Programm. Ball der einsamen Herzen am frühen Morgen. Pünktlich finde ich mich in der schon gut gefüllten Carinthia Lounge ein. Überall sitzen Pärchen und Grüppchen. Einige Leute frühstücken noch. Ich besorge mir einen Kaffee und warte. Nach einer halben Stunde gehe ich wieder. Ein bisschen mehr „Animation“ hatte ich schon erwartet.

Um 10:30 Uhr steht der nächste „Termin“ an: Line Dancing! Auf dem Weg in den Tanzsaal treffe ich eine etwas ältere Dame, die mir traurig sagt, dass sie sich verlaufen hat. Auf meine Frage, wohin es denn gehen soll, erklärt sie mir, dass sie zum Line Dance möchte. Wir machen uns gemeinsam auf den Weg, verirren uns und kommen schließlich ein paar Minuten zu spät an. Beim zweiten Tanz reihen wir uns ein und stellen fest, dass wir den Vortänzer nicht sehen können, die vor uns Tanzenden die Schritte auch nicht beherrschen und somit keine Hilfe sind. Also setzen wir uns wieder und quatschen. Für Barbara, die 90 (!) Jahre ist und keinen Tag älter als 75 aussieht, ist es die vierte Fahrt mit der Queen Mary. Sie liebt Line Dance und spielt immer noch Tennis. Wir reden über Gott und die Welt, stellen fest, dass wir in vielen Dingen dieselbe Ansicht haben und verstehen uns richtig gut. Wir bleiben auch noch beim Rumba-Tanzkurs und gucken den mehr oder weniger geschickten Tänzern zu. Barbara ist leidenschaftliche Tänzerin, aber leider fehlt es ihr an versierten Partnern. Und wie sie mir anvertraut, können amerikanische Männer nicht tanzen, Engländer dagegen … die reinsten Götter auf dem Tanzboden. Zum Abschied verabreden wir uns für morgen zum Line Dance, dann aber pünktlich, damit wir in der ersten Reihe stehen!

Am Abend stünde auch der erste Gala-Abend unter dem Motto Rot-Gold an. Barbara hat nur ein schwarzes Abendkleid mit und meinte scherzhaft, vielleicht ist es ja dunkel in dem Saal, dann erkennt keiner die Farbe. Sie macht auf mich nicht den Eindruck, als wäre sie erpicht auf dieses Event.

Bevor es zum nächsten Vergnügen geht, steht das Uhrenumstellen an. Jeden Tag wird die Uhr um eine Stunde vorgestellt, und zwar von 12:00 Uhr auf 13:00 Uhr.

Der Vortrag im Planetarium hat den Titel:

Neue Erkenntnisse hat er (mir) nicht gebracht, aber er war nett präsentiert und vor allem interaktiv! Morgen und übermorgen gibt es zwei weitere Teile.

Das Abendessen nehme ich heute im King’s Court ein, wo ich mir mein 5-Gänge-Menü selber zusammenstelle: Suppe, Salat, gebratene Nudeln, Obst und Pudding. Heimlich mache ich ein Foto. Der Name ist eher Show, das Restaurant hat Kantinenflair, aber das Essen ist gut und die Auswahl reichhaltig.

Das Foto zeigt übrigens nur das halbe Büffet. Rechts daneben gibt es weitere Theken mit Sushi sowie eine Softeismaschine.

Auf dem Weg zu meinem Zimmer denke ich, dass ich zumindest farblich zum Gala-Abend passe. Aber mit roter Jeans werden sie mich nicht in den Ballsaal lassen, da können meine Ballerinas noch so rot-gold glitzern. Viele Gäste sind aber auf diesen Ball vorbereitet, selbst die Herren, die mit roter Bauchschärpe und sogar roten Schuhen durch die Gänge wandeln. Zu gerne hätte ich Fotos gemacht, aber das muss ich den heutigen Starfotografen überlassen.

 

Als ich um 19:30 Uhr in mein Zimmer komme, hat Rudi schon die Nachttischlampe angemacht, die Vorhänge zugezogen und mein Bett aufgeschlagen. Was will man mehr! Später werde ich mir noch das morgige Programm anschauen, aber jetzt mache ich es mir mit meinem Buch in meiner Leseecke gemütlich!

Tag 2

Es klopft an meiner Tür. Ein Blick auf mein Handy sagt mir, es ist 7:30 Uhr! Neee, Rudi, das ist echt ein bisschen zu früh! Mein Bett ist einfach zu gemütlich, als dass ich jetzt schon aufstehen möchte. Irgendwann auf dieser Reise bestelle ich mir das Frühstück ans Bett und bleibe den ganzen Tag liegen! Aber heute noch nicht. Also stehe ich langsam auf und überlege, ob ich im Britannia frühstücken gehe. Dort angekommen, bin ich verwirrt, Frühstück gibt es doch bis 9:00 Uhr! Ein Blick auf meine Armbanduhr verrät die Lösung: Es ist 9:20 Uhr. Prima! Ich habe vergessen, dass sich mein Handy nicht automatisch umstellt! Rudi hat mich also um 8:30 Uhr geweckt.

Also dann wieder Frühstück im King’s Court. Das ist an sich kein Problem, aber die Kellner räumen sofort den Tisch ab, sobald man sich davon wegbewegt, um sich vielleicht noch etwas zu holen. Sie räumen auch volle Teetassen und Wassergläser ab oder auch Teller, auf denen noch Reste liegen. Das ist irgendwie nervig! Es hilft auch nicht, Brot und Butter auf den Tisch zu stellen und dann den Tee zu holen. Kommt man zurück, ist alles weg. Vielleicht mache ich mir morgen ein Schild: Don’t touch my food!

Line Dance muss also ausfallen, was mir leid tut, weil ich Barbara gerne wiedergesehen hätte. Dann eben morgen.

Nachmittags gibt es wieder einen Vortrag:

Auch heute hält der Vortrag nicht, was er verspricht, also werde ich mir überlegen, ob ich mir den dritten noch anhöre.

Den Nachmittag verbringe ich lesend in meiner Kajüte. Rudi möchte gegen 18:00 Uhr wieder mein Zimmer aufräumen. Ich vertröste ihn auf 18:30 Uhr, dann gehe ich essen. Das King’s Court ist wieder brechend voll, aber ich ergattere noch einen freien Tisch.

Dachte ich.

Kaum lasse ich mich nieder, sehe ich auf dem Stuhl gegenüber ein Sakko und schon erscheint der Besitzer. Freundlicherweise lädt er mich galant ein, ihm gerne Gesellschaft zu leisten. Er lebt in San Francisco und seine Familie stammt ursprünglich aus Deutschland, zumindest um 1700 herum aus Frankfurt. Ich erkläre auf Nachfragen, dass ich in der Nähe von Köln lebe. Ob denn die Kriegsschäden am Dom schon repariert sind oder man ihn als Mahnmal unrepariert lässt? Äääh, jaaa, neee. Aber so genau will er es dann gar nicht wissen, erzählt mir aber, dass seine Kinder null Ahnung von Geschichte haben! Ehrlich gesagt, vermute ich, dass seine Kinder in meinem Alter sind. Dann lässt er sich noch über die Presse aus, die ja nur reißerische Schlagzeilen bringt, aber keine wirklichen Fakten, und im gleichen Atemzug verabschiedet er sich und wünscht mir einen schönen Abend.

Im Theater gibt es heute Abend ein Konzert und ich überlege noch, ob ich hingehen soll. Rudi nimmt mir die Entscheidung ab. Er hat es noch nicht geschafft, mein Zimmer herzurichten, also überlasse ich ihm das Feld und gehe zu Ben Mills, der als neuer Joe Cocker angekündigt ist. Neu ist jetzt etwas übertrieben. Der Mann ist, wie er erzählt, seit 40 Jahren im Geschäft und hat schon mit allen möglichen Stars gespielt (u. a. mit Rod Stewart und Keith Richards – und hat das mit Fotos belegt). Ich kenne den Mann nicht, aber muss ich ja auch nicht.

Aber was soll ich sagen? Er ist wirklich gut und hat eine Stimme, die ihresgleichen sucht. Fast war ich versucht, auch die zweite Show noch zu besuchen, aber die ist mir dann doch zu spät. Ich will ja morgen nicht schon wieder verschlafen! Aber vielleicht tritt er ja an einem anderen Abend noch mal auf.

Tag 3

Heute ist die britische Einwanderungsbehörde an Bord und ich muss glaubhaft versichern, dass ich nicht in England bleiben will. Das erledige ich nach dem Frühstück, das ich ganz edel im Britannia einnehme.

Hatte ich schon erwähnt, dass es extra Kellner gibt, die dir die Serviette auf den Schoß legen? Und Kellner, die die Bestellung aufnehmen? Und wieder andere, die die Getränke bringen? Und solche, die das Frühstück bringen? Und andere, die nur abräumen? Da wuselt eine ganz Armada um einen herum! Ich habe mir Bircher Müsli, Obstsalat, ein Ei Benedict und eine Scheibe Toast bestellt (ich wollte das Ei nicht so ohne alles essen). Leider waren die Portionen Müsli und Obst für mehrköpfige Familien berechnet, aus einem Ei wurden zwei und die auch noch auf einem Bagel angerichtet, die eine Scheibe Toast mutierte zu vier Scheiben. So schön das Ambiente hier ist, die Portionen sind einfach zu groß, wenn man von allem etwas probieren möchte.

An meinem Tisch sitzen noch ein Ehepaar und zwei Herren. Alle stammen aus England. Alle schippern mehr oder weniger das ganze Jahr über die Weltmeere. Einer der Herren (die Namen habe ich schon wieder vergessen) kennt alle Schiffe der Cunard-Linie und unterhält uns mit den Vorzügen und Nachteilen von Victoria, Anne und Elizabeth. Und es geht natürlich um die Frage, welche Ziele als nächste anstehen. Ich mache die vier sprachlos, als ich auf Nachfragen erkläre, dass ich Polen im Visier habe (wahrscheinlich fragen sich die beiden Herren noch, welche Linie denn nach Polen fährt).

Und wie immer: Es war nett, dass wir uns kennengelernt haben! Schönen Tag noch.

Also die Höflichkeit unter den Seereisenden ist enorm, was aber sicher auch an den allgemeinen Umgangsformen im englischsprachigen Raum liegt.

Da ich noch ein paar Dinge mit der Reiseleitung klären muss, bin ich wieder zu spät für Line Dance. Ich gehe trotzdem hin in der Hoffnung, Barbara zu treffen. Aber sie ist nicht da. Dann starte ich also morgen den nächsten Versuch.

Das englischsprachige Tagesprogramm enthält übrigens 68 Unterhaltungsvorschläge von 6:00 Uhr bis weit nach Mitternacht. Das deutschsprachige Programm kommt mit 14 Veranstaltungen aus (wohl gemerkt, das Programm ist auf Deutsch, nicht die Veranstaltungen). Mich würde interessieren, wer denn hier die Auswahl trifft.

Um 15:30 Uhr probiere ich heute den 5 o’clock tea im Queen’s Room – und siehe da, das Ehepaar vom Frühstück ist auch da und winkt mich gleich an seinen Tisch. Wie nett! Bei köstlichen Scones (natürlich mit clotted cream und Erdbeermarmelade) sowie Lachs- und Gurkensandwiches plaudern wir angeregt.

rzählen mir, dass sie früher ein Wohnmobil hatten und viel in Spanien unterwegs waren, aber seit dem Brexit ist das ja nicht mehr so einfach. Deswegen haben sie ihren Wagen verkauft und jetzt diese Schiffsreise gemacht. Und ich erfahre, dass es in Deutschland unfassbar viele Brauereien und Bierkeller und Bierfeste gibt. Vor allem Robert ist dann sehr überrascht zu hören, dass das Oktoberfest eine bayrische Angelegenheit ist und dass nicht ganz Deutschland ständig solche Feste feiert. So entstehen Klischees. Um 16:30 Uhr ist der Zauber vorbei und die Tische werden ganz professionell und gnadenlos abgeräumt.

Zum Abendessen gehe ich vorsichtshalber wieder in die Kantine, was angesichts meines Outfits oder besser gesagt des Outfits der anderen Restaurant-Besucher besser ist. Im King’s Court treffe ich wieder meinen Freund von gestern. Heute erzählt er mir von seiner Mutter, die mit 90 Jahren mit seinem Sohn aufs College gegangen ist, weil sie, als sie jung war, als Frau keine Chance auf Bildung hatte. Er habe mal Russisch gelernt, was seine Umgebung damals schon insgesamt nicht gutgeheißen habe. Als ich sagte, dass ich auch Russisch gelernt habe, mutmaßt er sofort, dass ich wohl in Ostdeutschland geboren bin. Er war beeindruckt, dass ich die Sprache freiwillig gelernt habe. Habe er ja auch … Ja, aber er ist ja auch älter. (Die Logik verstehe ich mal wieder nicht). Jedenfalls gehe er jetzt ins Konzert, Rhapsodie in Blue, und falls wir uns wieder träfen, sei ich gerne eingeladen, mich wieder zu ihm zu setzen. Ich habe mich artig bedankt, mir noch einen Nachtisch geholt – und „meinen“ Kellner dabei erwischt, wie er wieder meinen Tisch abräumt. Ich habe ihm erklärt, dass ich morgen mit dem Schild komme. Fand er lustig. Ehrlich gesagt, sind alle sehr freundlich, aber dieser Kellner und eine Kellnerin sind wesentlich kommunikativer und dazu zu Scherzen aufgelegt. Das gefällt mir! 90 % des Personals auf dem Schiff stammt übrigens aus dem asiatischen Raum, hauptsächlich wohl von den Philippinen. Kein Wunder also, dass hier alle nur lächeln (naja, nicht wirklich alle. Einige gucken schon recht angestrengt).

Nach dem Essen hole ich mir noch einen Kaffee zum Mitnehmen (der hier tatsächlich „to go“ heißt) und dann mache ich es mir damit in meiner Kabine gemütlich.

Rudi hat mein Nachtlager schon vorbereitet, das Tagesprogramm liegt auf dem Bett, jetzt kann ja nichts mehr schiefgehen.

Gute Nacht!