Was wäre New York ohne den Broadway und der Broadway ohne seine vielen Theater? Ich glaube, die Frage lässt sich nicht beantworten. Das eine ist ohne das andere heute wohl undenkbar.

Meiner Freundin und mir war schon bei der Planung unseres New-York-Abenteuers klar, dass wir eine der vielen Shows besuchen wollen. Nur welche?

Ein paar Fakten

Der Theater-Distrikt zwischen der 40. und 50. Straße am und um den Broadway herum umfasst 41 große Theater mit mindestens 500 bis 2 000 Sitzplätzen. Es gibt auch noch zahlreiche kleinere Theater, die aber keine 500 Sitzplätze haben und damit Off-Broadway sind, auch wenn sie sich am Broadway befinden (merkwürdige Logik). 

Die Spielzeit der einzelnen Shows hängt von der Besucherzahl ab. Manche Musicals werden schon nach ein paar Wochen abgesetzt, weil zu wenige Besucher kommen, andere laufen jahrelang (beispielsweise das „Phantom der Oper“, das mit weit über 20 000 Aufführungen in 35 Jahren von Januar 1988 bis April 2023 das erfolgreichste Musical aller Zeiten ist).

Meine Freundin und ich schlagen uns ohne vorherige Absprache „Hamilton“ vor. Da gibt es also keine weiteren Überlegungen.

Ein bisschen Geschichte

Zu meiner Zeit war amerikanische Geschichte nur am Rande ein Thema im Geschichtsunterricht. Daher gibt es jetzt eine wirklich sehr kurze Abhandlung zu Hamiltons Werdegang.

Alexander Hamilton, geboren ca. 1755, schloss sich bei Ausbruch des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges dem Militär an und stieg sehr schnell zum persönlichen Assistenten von George Washington auf. Nach dem Krieg arbeitete er zunächst als Anwalt, trat später in die Regierung Washingtons ein und wurde der erste Finanzminister der jungen Vereinigten Staaten von Amerika. Er gilt als einer der Gründerväter der USA. Sein Abbild ziert auch heute noch den 10-Dollar-Schein.

Seine Person war nicht unumstritten und vor allem durch seine Wirtschaftsreformen nicht bei allen beliebt. So kam es schließlich dazu, dass Affären und Kritiken für das Ende seiner politischen Macht sorgten. 1804 wurde er bei einem Duell mit seinem langjährigen Weggefährten und späteren politischen Rivalen Aaron Burr, dem damaligen Vizepräsidenten, tödlich verletzt. Grund für das Duell war, dass Burr Hamilton dafür verantwortlich machte, dass er, Burr, die Präsidentschaftswahl im Jahr 1800 verloren hatte.

Und nun zum Musical

Das Musical stammt aus der Feder von Lin-Manuel Miranda nach dem Buch „Alexander Hamilton“ von Ron Chernow. Seit August 2015 wird es im Richard Rodgers Theatre aufgeführt.

Dass Miranda nicht nur Songwriter, Schauspieler, Produzent und Komponist, sondern auch Rapper ist, lässt sich schon beim ersten Song feststellen. Das Musical ist ein toller musikalischer Mix aus Rap, HipHop, R&B und schon fast arienmäßigen Stücken, aber vor allem auch eine herzerwärmende Geschichte, in der es eben nicht nur um Krieg und Politik und geschichtliche Abläufe geht, sondern die auch die andere Seite des Staatsmannes bleuchtet, seine Gefühle, seine Verirrungen und auch den Schmerz, den das Leben für ihn bereithält.

Eine Figur, die nur selten auftritt, aber immer für Lacher sorgt, ist King George III., der offensichtlich die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt hat oder nicht erkennen will und so bewusst unfreiwillig komisch wirkt.

Das Musical ist rasant, erzeugt Gänsehaut und ich kann verstehen, dass es Leute gibt, die es sich mehrmals ansehen. Es ist ein grandioses Erlebnis! Eine bessere Wahl hätten wir wahrscheinlich nicht treffen können.

Das Einzige, was an dieser Aufführung vielleicht nicht ganz so gelungen war, ist die Besetzung des Hauptprotagonisten. Er bleibt leider – ohne seine großartige Leistung schmälern zu wollen – gegenüber seinen Mitspielern etwas „blass“. Der Darsteller des Aaron Burr beispielsweise ist so viel präsenter und kraftvoller! Aber das ist nur mein ganz persönlicher Eindruck und soll keine Kritik an diesem ansonsten fantastisch inszenierten Musical sein.

Wie ich mit ein bisschen Recherche herausgefunden habe, wird das Musical seit 2022 tatsächlich auch in Hamburg aufgeführt.

Das Richard Rodger Theatre

Das Theater wurde 1924 im Stil der Neorenaissance gebaut und hieß bei seiner Eröffnung 1925 Chanin’s 46th Street Theatre. Der sperrige Name wurde erst 1990 vom jetzigen Besitzer zu Ehren des Komponisten Richard Rodgers geändert.

Das Theater umfasst 1 319 Sitzplätze, aufgeteilt in Parkett, Loge und Balkon. Für die Musiker gibt es keinen Orchestergraben, sondern sie sitzen unterhalb der Bühne. Nur der Dirigent, gleichzeitig Pianist, ist von der Loge und den Balkonen aus zu sehen.

Man hat von allen Sitzplätzen aus eine sehr gute Sicht auf die Bühne, was nicht zuletzt an der steilen Anordnung der Sitzreihen liegt. Leider ist die Beinfreiheit dadurch und wohl auch bedingt durch das Alter des Gebäudes minimal. Die Sitze sind zudem auch sehr eng nebeneinander angeordnet, so dass man keine Möglichkeit hat, seine Beine mal nach rechts oder links zu sortieren, geschweige denn auszustrecken, ohne seinen Nachbarn zu belästigen.

Man darf sich von dem Foto nicht täuschen lassen. Das sieht nach mehr Beinfreiheit aus als man tatsächlich hat!

Bis zur Pause halte ich eisern durch. Nach der Pause frage ich eine Mitarbeiterin, ob ich mich auf die Treppe setzen dürfte, weil ich in meiner Reihe nicht mehr sitzen kann. Daraufhin holt sie mir sofort einen Stuhl und den Rest des Musicals kann ich bequem neben den Balkonen sitzend erleben.

Ich bin immer wieder begeistert, wie einfach und ohne Diskussion hier in den Staaten (soweit ich das beurteilen kann) Wünsche erfüllt werden.

Das Stück war übrigens ausverkauft – und das trotz der Preise, die im Richard Rodgers zwischen 162,50 USD und 289,50 USD liegen. Für mich war das Stück jeden Cent wert.