Mit der Queen Mary 2 über den Atlantik

Tag 4

Ich habe total schlecht geschlafen und möchte nicht aufstehen. Gut, dass es bis 12 Uhr Frühstück gibt. Das späte Frühstück – es ist 10:00 Uhr – führt dazu, dass ich heute einen Platz am Fenster bekomme.

Ich beschließe, nach dem Frühstück einmal ums Schiff zu laufen, um richtig wach zu werden. Gesagt, getan. Es ist kalt draußen und es stürmt und auch die Sicht wird wieder schlechter.

Leider war mir entfallen, dass die Mannschaft heute eine Rettungsübung macht und das halbe Deck gesperrt ist. Dann eben wieder in die Kabine und noch ein bisschen ruhen. Irgendwie bin ich extrem lustlos. Statt mir die ausgewählten Vorträge anzuhören, bleibe ich in meiner Kabine und lese. Auch der 5-Uhr-Tee lockt mich nicht. Stattdessen hole ich mir einen Kaffee und mache es mir wieder in meinem Sessel gemütlich.

Das Abendessen im King’s Court wartet wieder mit einer enormen Auswahl an Speisen auf, aber alle Tische scheinen besetzt zu sein. Die Rettung naht in Gestalt „meines“ Kellners, der mich, wie er sagt, in seine „Privatloge“ zu seinem Fan-Club setzt – der natürlich nur aus Damen besteht, die mit seiner lustigen Art ebenfalls gut klarkommen. Es wird wieder ein vergnügliches Essen. Zwischendurch erscheint „Marvin“, wie er sich vorstellt, und fragt, wo denn mein Freund bleibt? Ob ich ihn verärgert hätte? Ich glaube, wir stehen hier alle unter Aufsicht. 

Um 21:00 Uhr gibt es im Planetarium eine Aufführung der Royal Shakespeare Company und ich denke mir, ein bisschen Kultur kann ja nicht schaden. Die fünf Schauspielerinnen und Schauspieler unterhalten uns 30 Minuten mit Shakespeare-Texten zum Thema „Zeit“. Mir war gar nicht (mehr) bewusst, dass der Begriff der Zeit in vielen seiner berühmten Werke überhaupt eine Rolle gespielt hat. Im Nachhinein bin ich froh, hingegangen zu sein.

Das Planetarium war sowieso mein Lieblingsveranstaltungsort.

Tag 5

Ich wache zur rechten Zeit auf, ziehe die Vorhänge auf und bin wieder mal überrascht, dass ich direkt aufs Wasser schaue!

Das Frühstück gibt es wieder im King’s Court mit den üblichen Problemen. Ich stelle meine Tasse Tee auf den Tisch, hole mir heute mal ein englisches Frühstück, komme zurück und es will sich gerade jemand auf meinen Platz setzen, obwohl mein Tee da noch steht. Nach der ersten Runde (meine Teetasse ist noch voll) hole ich mir Obst. Ich komme wieder, der Tisch ist abgeräumt und es sitzt ein Pärchen am Tisch. Der Kellner merkt, dass ich angesäuert bin, entschuldigt sich und besorgt mir einen neuen Tisch und einen Tee. Morgen nehme ich ein Buch mit und hoffe, ich kann dann in Ruhe frühstücken.

Vormittags höre ich mir einen sehr interessanten Vortrag von einem Journalisten über Fake News, alternative Fakten und Qualitätsjournalismus an.  Auf dem Rückweg zu meiner Kabine erlebe ich dann ein Highlight (das muss es wohl sein, weil rund 100 Passagiere den Flur bevölkern). Um Punkt 12 Uhr wird die Schiffsglocke geläutet.

Und dann gibt es die tägliche Ansprache des Kapitäns. Die wichtigste Information: Wir nähern uns dem Ärmelkanal.

Ich freue mich auf die Scones am Nachmittag und finde mich um 15:30 Uhr im Queen’s Room ein. Es ist deutlich leerer als vor zwei Tagen. Auch hier wuseln die Kellner um die Gäste herum. Es gibt 5 Bereiche mit jeweils 10-12 Tischen, für die jeweils 5 Kellner zuständig sind: Ein Kellner reicht den Tee, einer kommt mit Sandwiches, einer trägt den Kuchen, der vierte darf die Scones verteilen und der fünfte räumt ab. Und ALLE fragen alle paar Minuten, ob alles in Ordnung ist oder ob man noch etwas möchte. Dazu spielt ein junger Mann Beatles- und andere Hits aus den 1970er Jahren auf dem Klavier, wie es sich gehört sehr dezent.

Am Abend steht der nächste Gala-Abend an. Motto: die 1920er Jahre. Wieder bin ich erstaunt, wie viele Gäste darauf vorbereitet sind – und zwar nicht nur die Damen, sondern vor allem auch die Herren! Es tut mir wirklich leid, dass ich keine Fotos machen kann. Die sehen alle so wunderbar aus!

Apropos Kleidung: Ich finde es befremdend, dass sich an solchen, aber auch an „normalen“ Abenden, Leute in ihrer Freizeitkleidung (ja, selbst in kurzer Hose) in das Hauptrestaurant wagen. Ich würde selbst in meinem besten Zwirn nicht dort zu Abend essen, denn ich käme mir vollkommen deplatziert vor bei all den eleganten Roben (hier kann man wirklich nicht mehr nur von Kleidern sprechen). Und ehrlich gesagt, finde ich es diesen Leuten gegenüber, die sich so viel Mühe geben, um den Abend zu etwas Besonderem werden zu lassen, ziemlich respektlos. Wenn ich keine Lust habe, mich schick zu machen, gibt es ja andere Restaurants.

Später am Abend gönne ich mir in meiner Café-Bar, dem Sir Samuel‘s, kurzentschlossen einen Cocktail.

Zunächst sitze ich völlig allein dort, aber nach ungefähr einer halben Stunde ist die Bar voll mit Leuten, die gerade den 1920er Jahren entsprungen sind. Wahrscheinlich sind ihre Füße schon durchgetanzt.

Der Cocktail hat es mehr als in sich! Ich hoffe, ich schaffe es unbeschadet in meine Kajüte.

Das Vorhaben gelingt und ich falle sofort ins Bett – ohne mir noch das Tagesprogramm anzuschauen. Das geht ja morgen früh auch noch.

Tag 6

Wieder bin ich einfach nur müde und schleppe mich am späten Vormittag aus meiner Kajüte. Frühstück fällt heute aus. Mittagessen auch – wie eigentlich immer. Es ist mir wirklich schleierhaft, wie manche Menschen hier vier bis fünf Mahlzeiten am Tag zu sich nehmen können. Der Kapitän kündigt an, dass wir gegen 14:00 Uhr an Bishop’s Rock (hier steht ein Leuchtturm aus dem Jahr 1858) und den Isles of Scilly vorbeifahren. Dieser Punkt markiert traditionell das Ende der Atlantiküberquerung.

Und so soll es aussehen

Pünktlich um 13:30 Uhr bin ich auf Deck 13, dem höchsten Aussichtspunkt des Schiffes, um diesen Leuchtturm zu sehen. Um 14:30 Uhr gebe ich es auf. Kein Leuchtturm in Sicht und vor allem auch keine anderen Passagiere. Ich vermute, wir fahren so weit daran vorbei, dass wir gar nichts zu sehen bekommen.

Um 15:30 Uhr finde ich mich wieder im Queen’s Room zu einem Tässchen Tee und Scones ein. Heute ist es wieder voll. Wahrscheinlich wollen alle Gäste, die morgen das Schiff verlassen, noch einmal den Nachmittag hier genießen.

Um 19:00 Uhr gehe ich ins Kino. Es läuft ein Bollywood-Film. Um 21:00 Uhr kommt dann noch mal die Royal Shakespeare Company mit Sonetten von Shakespeare auf die Bühne. Beides hat mir sehr gut gefallen.

 

Zwischen den beiden Veranstaltungen habe ich eine halbe Stunde Zeit. Da lohnt es sich nicht, noch woanders hinzugehen, also betrachte ich in Ruhe den Gang hinter dem Planetarium, den ich sonst nie benutze. Hier sind viele Fotos von Berühmtheiten, die auf der R.M.S. Queen Mary durch die Welt geschippert sind: Politiker, Schauspieler, Industrielle … Wirklich spannend fand ich eine Urkunde über ein Royal Meeting der Queen Mary 2 mit der R.M.S. Queen Mary, dem bei ihrer Jungfernfahrt 1936 größten Dampfschiff und Luxusliner der Welt. Seit 1967 liegt sie in Long Beach und ist die Attraktion schlechthin. 2006 nun trafen sich, wie es heißt, diese beiden großartigen Schiffe, die ein Zeichen für die Vergangenheit und die Gegenwart der Transatlantiküberquerung sind, im Hafen von Long Beach. Der 23. Februar 2006 wurde daraufhin zum Royal Rendezvous Day erklärt.

Als ich diese Urkunde las, erinnerte ich mich an meine erste USA-Reise im Jahr 1977 nach Los Angeles. Damals habe ich die Queen Mary besichtigt und war beeindruckt von der Größe und dem gediegenen Luxus, den das Schiff ausstrahlte. Damals hätte ich mir nicht träumen lassen, einmal mit einem solchen Schiff zu reisen. Und jetzt kann ich mit Fug und Recht behaupten, dass ich schon auf beiden Schiffen war (und ich muss ehrlich sagen, dass die QM2 um einiges größer und luxuriöser ist als ihre Vorgängerin).

Heute gibt es keinen Cocktail in der Bar. Morgen früh geht es für mich nach Stonehenge und ich muss um 8:15 Uhr am Treffpunkt sein.

So langsam nähert sich meine Reise ihrem Ende.