Es begab sich in Vor-Corona-Zeiten, da saßen wir in gemütlicher Runde und tauschten unsere Erfahrungen mit Kaffeefahrten aus. Plötzlich meinte eine Freundin, sie habe noch nie in ihrem Leben eine Kaffeefahrt erlebt. Das empfanden wir anderen als Bildungslücke, die unbedingt geschlossen werden musste.

Also startete das „Projekt Kaffeefahrt“.

Wie wir feststellen mussten, war das gar nicht so einfach! Früher waren die Zeitungen voll von Angeboten, aber mittlerweile hatte sich wohl herumgesprochen, dass es sich hier um ziemliche Neppveranstaltungen handelt und äußerste Vorsicht geboten ist.

Nach langer Suche flatterte uns dann ein verlockendes Angebot ins Haus: kostenloser Tagesausflug zum Weihnachtsmarkt nach Münster, inkl. Frühstück, Mittagessen und Kaffeetrinken sowie einer kleinen Werbeveranstaltung. Und zu gewinnen gab es auch noch jede Menge wertvoller Preise.

 

Dies ist nur ein Beispiel. So ähnlich sah unsere Einladung aus

An einem scheußlichen Freitagmorgen Anfang November startet unsere Fahrt ins Glück. Alle Kaffeefahrer – rund 15 in unserem Bus – freuen sich schon auf Münster. Der erste (und auch einzige) Stopp ist ein Ausflugslokal in Dorsten, das sicherlich auch schon bessere Tage gesehen hat. Wir werden in einen großen, eiskalten Saal geführt, wo wir auf weitere 30 Interessenten treffen. Die jüngeren der Teilnehmer (Altersdurchschnitt gute 80) dreht erst mal die Heizungen auf. Das opulente Frühstück steht schon auf dem Tisch. Für jeden gibt es ein Gummibrötchen, die eine Hälfte mit einer undefinierbaren Wurst, die andere mit auch nicht mehr ganz so taufrischem Käse belegt. Dazu Kaffee. „Kann ich bitte einen Tee haben?“  – „Tee???“ Der angewiderte Gesichtsausdruck der Kellnerin spricht Bände.

Da wir ja keine Fotos machen dürfen, habe ich im Netz nach entsprechenden Bildern gesucht, aber nicht annähernd so schreckliche Fotos gefunden wie diese Brötchen aussahen.

Nein, nein, es gab keine so appetitliche Zitronenscheibe zum Tee und auch die Tasse war nicht so schön

Nach dem Frühstück und vor der ersten Verkaufsshow erhalten wir wichtige Verhaltensregeln. Handys bleiben ausgeschaltet in der Tasche. Videos und Fotos sind strengstens verboten (warum wohl?). Kein Toilettengang während der Vorführung … äääh … ernsthaft? 

Dann geht es auch schon los. Kosmetik. Und zu gewinnen gibt es ein Tablet der neuesten Generation! Der Verkäufer legt sich mächtig ins Zeug. Wenn man ihm glauben darf, werden kosmetische Chirurgen wohl bald arbeitslos. In die Verlosung kommen natürlich nur Leute, die auch was kaufen. Ich glaube, keiner der Anwesenden wollte, und der nette (nun etwas schlecht gelaunte) Verkäufer nimmt sein Tablet (und seine Wunderprodukte) wieder mit nach Hause.

Darauf folgt auch schon das zweite Produkt, das ich schon vergessen habe, weil es genauso nutzlos ist wie das erste.

Zeit fürs Mittagessen. Kartoffelsalat mit (kaltem) gebratenem Bauchfleisch oder einem Wiener Würstchen. Gut, dass wir schon so gut gefrühstückt hatten. Außerdem sind wir immer noch voller Vorfreude, dass es nach dem Mittagessen nun endlich nach Münster geht.

Aus dies nur ein Beispiel, wie das Mittagessen „ungefähr“ ausgesehen hat

Tja, wir haben die Rechnung ohne den Werbeveranstalter gemacht.

Nach dem gar köstlichen Essen stellt ein weiterer Verkäufer Nahrungsergänzungsmittel vor, die angeblich gegen jedes Leiden und alle Unpässlichkeiten im Leben helfen. Damals war das noch möglich, seit 2022 ist der Vertrieb dieser Mittel auf Werbeveranstaltungen ja zum Glück verboten. Hier nun werden Produkte angeboten, die es in jedem Drogeriemarkt für kleines Geld zu kaufen gibt, jetzt aber zu Preisen jenseits von Gut und Böse. Da werden 180 Tabletten zur Bekämpfung freier Radikale für sage und schreibe 1.200 Euro beworben! Meine Freundin und ich haben fast einen Lachkrampf bekommen. Aber das Lachen vergeht uns, als wir sehen, wie viele Interessenten es plötzlich gibt! Und dann wird es richtig interessant: Kauf nur gegen Barzahlung. Ein Ehepaar will diese Tabletten unbedingt haben (Gesamtpreis 3.000 Euro), hat aber nicht so viel Geld mit. Kein Problem! Wir fahren mit Ihnen nach Hause oder zu Ihrer Bank. – Und das Ehepaar willigt tatsächlich ein. Der Verkäufer verfrachtet die beiden in sein Privatauto und rauscht mit ihnen von dannen. Wir haben sie nicht wiedergesehen, die Glücklichen!

Auf der letzten Veranstaltung des Tages nach der Kaffeepause (von Münster ist schon lange keine Rede mehr) stellt ein Reiseveranstalter Busreisen zu unschlagbaren Preisen vor. Und da ist auch bei uns kein Halten mehr! Nach kurzer Beratung entscheiden wir: Drei 4-Tage-Reisen für 250,00 Euro sind definitiv ein Schnäppchen. Selbst, wenn nur eine Reise zustande kommt, ist das immer noch ein guter Preis. Der Reiseunternehmer ist auch ein bekannter Anbieter von Busreisen, was soll also schiefgehen? Also buchen wir. Die Ziele der angebotenen Reisen scheinen auch alle lohnenswert. Und man kann jede Reise zweimal kostenlos umbuchen. Abholung in Wohnortnähe selbstverständlich. (Die Bestätigung kommt ein paar Tage später mit einem Bonus: Wir erhalten eine vierte Reise kostenlos dazu. Wir können unser Glück kaum fassen! *Ironie aus*).

Über das anschließende Kaffeetrinken legen wir gnädig das Mäntelchen des Schweigens. Ein paar Mitgefangene diskutieren dann noch mit dem Busfahrer (der Veranstalter ist längst über alle Berge), wann es denn nach Münster geht, aber der schüttelt nur den Kopf. Wieso Münster? Davon ist ihm nichts bekannt. Es geht jetzt nach Hause.

Soweit die Vorgeschichte.

Und dann kam Corona …

Unsere erste Reise wäre 2021 zum Salzburger Weihnachtsmarkt gewesen. Die haben wir abgesagt, denn was soll man in Salzburg, wenn alles geschlossen hat und der Weihnachtsmarkt ausfällt. Daraufhin buchte man uns um auf Dezember 2022.

Auch gut.

Bis dahin sollte aber auch schon die zweite Reise mit der malerischen Beschreibung „Donauperlen“ stattfinden (Rundreise Passau, Budapest, Bratislava, Prag), und zwar im Juni 2022.

Ein paar Tage vor dieser Abreise bekamen wir dann den Abholort mitgeteilt: 04:30 Uhr unter einer Autobahnbrücke in Bochum. Mal davon abgesehen, dass Bochum nicht wirklich wohnortnah ist, wollten wir unser Auto ganz sicher nicht mitten in der Nacht für vier Tage unter einer ominösen Autobahnbrücke abstellen. Und interessanterweise kam die Information von einer ganz anderen Reisegesellschaft als der, bei der wir ursprünglich gebucht hatten.

Aber alles kein Problem! Wozu gibt es schließlich die kostenlose Umbuchung?

Wir dachten uns, wenn wir uns ein Ziel in relativer Nähe aussuchen, kann doch eigentlich nichts schiefgehen. Also wählten wir als Ersatz Hamburg. Reisetermin März 2024.

Dass wir auch die für Dezember 2022 geplante Salzburg-Reise abgesagt haben, verwundert sicher niemanden mehr. Diesmal wäre es tatsächlich eine wohnortnahe Abholung gewesen, aber laut Reiseplan hätten wir die vier Tage mehr oder weniger im Bus verbracht, für den Besuch des Salzburger Weihnachtsmarktes hätten wir tatsächlich eineinhalb Stunden Zeit gehabt. Also wieder umgebucht, wobei ich gestehen muss, dass ich die neue Destination nicht mehr weiß – bei diesen vielen Reisen kann man den Überblick schon mal verlieren. Egal, man wird uns schon rechtzeitig informieren.

Aber nun sind wir doch recht aufgeregt! Unsere erste Reise steht an. Fünf Jahre nach dieser denkwürdigen Kaffeefahrt ist es endlich soweit. Hamburg wir kommen!

Dachten wir …

Vor ein paar Tagen flatterte uns dieses nette Schreiben ins Haus. 

Nach telefonischer Rückfrage erfuhren wir den Treffpunkt: Niebüll – knapp 600 km von Gladbeck entfernt und von uns aus gesehen rund 200 km hinter Hamburg gelegen. Wir erklärten dem Reiseunternehmen (komisch, schon wieder ein anderes Unternehmen!), dass wir unter diesen Umständen selbst anreisen. Man möge uns das Hotel nennen, in dem wir untergebracht sind. Das ginge leider aus versicherungstechnischen Gründen nicht.

Also haben wir wieder umgebucht. Dieses Mal werden wir im Januar 2025 – sofern uns das Schicksal gnädig ist – eine Hansetour unternehmen. Wir schließen schon Wetten ab, wohin die Reise geht. Vielleicht nach Dorsten, Wesel, Neuss oder Unna … wohnungsnahe Abholung garantiert! Wir freuen uns jedenfalls schon sehr.

Und ihr dürft auf eine Fortsetzung gespannt sein!

Aber noch ein Hinweis: Dies ist auf gar keinen Fall ein Plädoyer für Kaffeefahrten! Eigentlich sollte mittlerweile jeder wissen, dass einem hier für minderwertige Ware das Geld aus der Tasche gezogen werden soll. Trotzdem kann so eine Kaffeefahrt manchmal ein lohnenswerter Ausbruch aus dem täglichen Allerlei sein – unsere Kaffeefahrt war es leider definitiv nicht!