Tag 3.

Unser dritter Morgen in Danzig kommt grau mit leichtem Nieselregen daher. Da die Aussichten für den Tag nicht unbedingt eine Wetterbesserung versprechen, machen wir uns dennoch auf den Weg. Und da wir heute völlig ziel- und zeitlos sind, nehmen wir mal einen anderen Weg in die Rechtstadt – und werden mit vielen interessanten Dingen belohnt.

Als erstes stoßen wir auf den Überrest der alten Stadtmauer, die einst die Rechtstadt schützte. Um ehrlich zu sein, ist das eher eine Vermutung als ein Fakt. Aber ich finde, sie sieht alt genug aus.

 

Nur ein paar Schritte weiter erreichen wir ein weiteres Denkmal, das den Freiheitskämpfern Danzigs gewidmet ist.

Eigentlich wissen wir jetzt schon nicht mehr so genau, wo wir überhaupt sind. Der Rathausturm, der uns als Anhaltspunkt diente, ist nicht mehr sichtbar. Dafür sehen wir wieder schöne Fassaden.

Und plötzlich stehen wir vor der Kaplica Królewska, der Königlichen Kapelle, die sich so klein und niedlich quasi an den gotischen, eher schlichten Bau der großen Marienkirche schmiegt und in ihrer Barockbauweise fast farbenfroh und trotz ihrer prunkvollen Verzierungen eher zierlich wirkt . Die Königliche Kapelle wurde 1681 vollendet und ist sozusagen eine Spende des polnischen Königs Jan Sobieski an die Katholiken, da diese in Danzig kein Gotteshaus mehr hatten, denn die Marienkirche wurde wegen des großen Andrangs von Protestanten kurzerhand zu einer evangelischen Kirche. Wie wir von einem Aushang erfahren, wird die Kapelle gerade renoviert und ist geschlossen.

Doch noch während wir die Kirche betrachten, kommt ein Ehepaar, schließt die Pforte auf und lädt uns ein, die Kapelle zu besichtigen. Das lassen wir uns natürlich nicht zweimal sagen. Die Renovierung scheint schon fast abgeschlossen zu sein. Wir sind überrascht von der Helligkeit und Schlichtheit und der liebevollen Gestaltung.

Vor der Kapelle befindet sich ein Wasserspiel: der Springbrunnen der vier Quartiere, nämlich der vier historischen Viertel Danzigs. Hier speien 24 Wasserdüsen mit wechselnder Intensität ihre Fontänen in die Luft, bewacht von vier riesigen Löwen.

Nur einen Schritt weiter stehen wir vor der Marienkirche, der Konkathedralbasilika der Aufnahme der Allerheiligsten Jungfrau Maria in den Himmel, so der genaue Name der ehemals evangelischen Hauptkirche, die im gotischen Stil nach fast zweihundertjähriger Bauzeit 1502 fertiggestellt wurde. Bemerkenswert an dieser Kirche ist die Damm-Uhr mit einem Durchmesser von 5 Metern. Im Jahr 1955 wurde die Kirche übrigens wieder von der römisch-katholischen Kirche übernommen und ist nun ein katholisches Gotteshaus.

Wir konnten leider nur einen kurzen Blick in das Innere werfen, da der Beginn des Gottesdienstes kurz bevorstand und wir höflich, aber bestimmt, hinaus komplimentiert wurden, sofern wir nicht am Gottesdienst teilnehmen wollten.

Es ist erstaunlich, was man so entdeckt, wenn man sich einfach treiben lässt. Wir umrunden die Kirche und stehen in einer kleinen Gasse vor einem Haus mit einem interessanten Wappen. Wie uns die Tafel neben der Tür informiert, handelt es sich um das Haus der wohlhabenden Patrizierfamilie Ferber. Das Wappen – drei abgeschlagene Eberköpfe – wurde der Familie verliehen, weil sie die Stadt Danzig bei der Belagerung durch die Ritter des Deutschen Ordens gerettet hat, indem sie die letzten drei noch verbliebenen Schweine schlachtete und die Köpfe auf die Belagerer katapultieren ließ. Diese wiederum schlossen daraus, dass es in der Stadt noch so viele Vorräte geben musste, dass eine weitere Belagerung keinen Sinn hat, und sie zogen ab. So einfach kann das sein.

Wir schlendern weiter, vorbei an weiteren hübschen Fassaden, Kirchen und Denkmälern, u. a. von Swantopolk II., Herzog von Pommerellen (inwiefern dieser Herr wichtig war, entzieht sich meiner Kenntnis, aber ich finde den Titel „Herzog von Pommerellen“ irgendwie bedeutsam). Wonach er wohl Ausschau hält?

Mittlerweile geht es auf die Mittagszeit zu, wir haben immer noch nicht gefrühstückt, sind aber nun endlich in der Langgasse gelandet und sitzen schon bald im Café Ferber, natürlich draußen! Der Nieselregen hat sich verzogen, die Sonne kommt raus und für die verfrorenen Gäste gibt es Decken und Gasheizung. So sitzen wir in diesem wirklich schönen Café, genießen die frische Luft und erfreuen uns an dem Trubel in der Langgasse.

Und auch innen kann das Café sich sehen lassen. Hinter dem Tresen befinden sich Porträts der Namensgeber – welche genau, ist mir entfallen (die Familie Ferber war über viele Jahre in die Geschicke Danzigs involviert). In Erinnerung geblieben ist mir aber die beeindruckende Kuchentheke.

Nach dieser Pause gehen wir weiter auf Entdeckungstour und entdecken ein merkwürdiges Gebilde am Rathaus.

Wir erfahren, dass es sich tatsächlich um Maßeinheiten handelt! Anno dunnemals gab es sehr strenge Vorschriften für Händler, die vom Stadtrat kontrolliert wurden. Dazu gehörten Gewichte und Maße, weil diese in den verschiedenen Landesteilen ganz unterschiedlich gehandhabt wurden. Die Danziger Händler sorgten dafür, dass es zumindest in ihrer Stadt einheitliche Maße gab, an die sich jeder zu halten hatte. Am Rathaus nun hängen seit 1650 eine Elle, ein Zollstock und ein Metermaß, damit jeder Bürger die Korrektheit der Angaben der angebotenen Waren nachprüfen kann.

So langsam machen wir uns auf in Richtung Heimat. Auf der anderen Seite der Mottlau steht ein Riesenrad, mit dem wir noch fahren wollen.

Auf dem Weg dahin kommen wir an dem einzig erhaltenen Kohle- und Erzfrachter der Welt vorbei: Die Sołdek liegt heute, obwohl immer noch fahrtüchtig, als Museumsschiff gegenüber dem Krantor vor Anker. Sie wurde in der Danziger Werft entworfen und gebaut und lief als erstes polnisches Schiff nach dem Krieg vom Stapel. Der Name ist eine Hommage an den Hauptzeichner des Frachters auf der Danziger Werft.

Sehenswert auch die Hochseeboje direkt vor dem Eingang des Museums.

Langsam wird es dunkel und Zeit fürs Riesenrad. Es herrscht nicht allzu viel Betrieb und nach drei Runden ist die Fahrt auch schon vorbei. Von oben haben wir nochmal einen schönen Blick auf die Danziger Rechtstadt

und auch auf den Gebäudekomplex, in dem sich unser Apartment befindet.
Und hier geht die Fantasie mit uns spazieren. Was könnte man daraus nicht alles machen …

Nach der gemütlichen Fahrt mit dem Riesenrad müssen wir nur noch auf die andere Flussseite – und das geht seit 2020 ganz bequem und schnell über die Ołowianka-Brücke, eine hydraulisch betätigte Klappbrücke. Vor 2020 war ein längerer Fußmarsch erforderlich, um zum anderen Mottlau-Ufer zu gelangen, wo sich beispielsweise die Philharmonie befindet.

Jeweils zur halben Stunde wird die Brücke heruntergelassen (das dauert 5 Minuten) und ist dann 25 Minuten passierbar. Anschließend wird sie wieder hochgeklappt und die Mottlau steht erneut der Schifffahrt zur Verfügung. Das Spektakel ist echt sehenswert und bereits Minuten vor dem Herunterklappen der Brücke bilden sich auf beiden Seiten Pulks von Zuschauern.

Wir haben noch viele Kuriositäten in Danzig gesehen, zum Beispiel auch ein Stück der Berliner Mauer als Symbol der Teilung in ein freies und ein unterdrücktes Europa. (Ein Mauerstück der Danziger Werft befindet sich im Gegenzug in Berlin am Reichstagsgebäude).
Oder diese alte Straßenbahn

Was auf keinen Fall unerwähnt bleiben darf, sind die Żabka, zu erkennen an dem grünen Schriftzug und am ehesten mit unseren To-Go-Läden oder Kiosken zu vergleichen. Das Sortiment ist ähnlich. Von Kaffee oder Snacks bis hin zu Lebensmitteln, Fahrscheinen, Tabakwaren und Alkohol gibt es hier so ziemlich alles zu kaufen. Und ähnlich wie bei uns hat der Żabka auch dann noch geöffnet, wenn alle anderen Geschäfte geschlossen sind. Einer der Anteilseigner dieser Kette ist übrigens die katholische Kirche. Dinge gibt’s …

Und damit ist unser Kurztrip in diese polnische Metropole leider schon vorbei. Noch ein wehmütiger Blick auf den Bahnhof und dann heißt es „Do widzenia, Gdansk“ – wobei ich mir wirklich vorstellen kann, diese wunderschöne, lebhafte – und soweit ich das beurteilen kann – tolerante Stadt noch mal zu besuchen.

Allerdings gibt es eine Kleinigkeit, die ich nicht ganz so gelungen fand. Man kommt sprachlich mit Englisch sehr gut klar, allerdings sind bis auf wenige Ausnahmen alle Hinweisschilder zu Sehenswürdigkeiten auf Polnisch verfasst. Das stellt einen schon mal vor Probleme, wenn man nicht so genau weiß, wo’s lang geht.

Falls übrigens jemand meint, meine Polnischkenntnisse seien gut genug, muss ich ihn enttäuschen: Alle Übersetzungen stammen von dem überaus hilfsbereiten und freundlichen Vater meiner Freundin Sylvia.