Man hatte uns gewarnt. Kyoto sei überfüllt, viel zu viele Touristen, die Stadt sei ganz furchtbar und wir sollten lieber woanders hinfahren.

Nun, Kyoto ist tatsächlich in Touristenhand, aber anders als in Tokio herrscht hier eine gewisse Leichtigkeit, mehr Weite, man fühlt sich nicht so beengt. Die Hochhäuser sind nicht ganz so hoch wie in Tokio und es gibt so viel Grün um die Stadt herum. Uns gefällt es hier von Anfang an.

Unser Hotel, das Amanek Kyoto Karawamachi, gehört definitiv in die Kategorie Fischkonserve. Zwei Menschen haben kaum eine Chance, sich gemeinsam im Zimmer zu bewegen. Dafür liegt es hinsichtlich des ÖPNV sehr günstig: Vier verschiedene Buslinien halten quasi vor dem Hotel. Und der Blick aus dem Fenster ist auch nicht so hässlich.

Während ich also versuche, ein paar Sachen aus meinem Koffer im Zimmer zu verstauen (Schränke sind Luxus) und auch möglichst den Koffer aus dem nicht vorhandenen Weg zu räumen, unternimmt meine Tochter den ersten Erkundungsausflug – und kommt mit stimmungsvollen Fotos zurück.

Den ersten Abend verbringen wir in Gion, dem alten Geisha-Viertel. Am östlichen Ende der Shijo-dori, der Hauptstraße des Viertels, steht der Yasaka-Schrein der Shinto, erbaut im Jahr 656.

Eine kleine Anmerkung zwischendurch: Die Götterwelt Japans und ihre Verwicklungen sind dermaßen kompliziert, dass ich mir gar nicht erst die Mühe mache, irgendetwas verstehen zu wollen. Kommt hinzu, dass die komplizierten Namen, die manchmal nur durch eine Silbe voneinander abweichen, so gar nicht in meinen Kopf wollen. Auch die Geschichte Japans und ihrer Herrscher ist so verzwickt, dass ich mich auch damit nicht ausgiebig beschäftige.

Die Shijo-dori ist jedenfalls so etwas wie die Touristenmeile. Hier reiht sich Restaurant an Bar und Souvenirladen, es herrscht reger Verkehr und auch die Seitenstraßen sind mit Vergnügungsstätten gespickt. Nur Geishas sehen wir nicht, aber das ist auch kein Wunder, denn mittlerweile ist es verboten, in die „echten“ Geishastraßen zu gehen. Hinweisschilder weisen darauf hin, dass das Fotografieren hier nicht erlaubt ist.

Gion ist jedenfalls ein quirliges Viertel, dessen Besuch sich trotz der Menschenmengen lohnt. Hier bekommt man einen Eindruck, wie es früher einmal in Japan ausgesehen haben mag.

Den Abend beschließen wir in einem irischen Pub, wo wir schnell mit dem Mädel hinterm Tresen ins Gespräch kommen. Sie spricht gut Englisch, heißt Sakura (zu Deutsch: Kirschblüte) und würde sehr gerne nach Deutschland kommen. Das Bier ist lecker, der Pub klein, aber nett eingerichtet, und so wird es ein amüsanter Abend.

Deko unter der Decke und an den Wänden
Sakura

Am nächsten Tag nehme ich den Hop On/Hop Off-Bus für eine erste Übersicht. Hätte ich mir echt sparen können, denn der Bus hält zwar in der Nähe ganz vieler Sehenswürdigkeiten, aber man kann an den Haltestellen eher nur erahnen, in welche Richtung man gehen muss. Da sind die City-Busse viel besser geeignet und preiswerter dazu. Was aber sehr nett ist und in Tokio so gar nicht passiert ist: Ich komme mit meinen Mitreisenden ins Gespräch! Kyoto scheint tatsächlich ein kommunikativeres Pflaster zu sein.

Kinkaku-ji

Als Erstes steige ich an dem buddhistischen Tempel Kinkaku-ji aus, dem Goldenen Pavillon, einer der zahlreichen UNESCO-Weltkulturerbestätten in Kyoto.

Die beiden ersten Stockwerke des Pavillons sind vollständig mit Blattgold überzogen. Daher der Name Goldener Pavillon. Selbstverständlich ist der Pavillon DER Point of Interest und so stehen, wie es sich in Japan gehört, die Fotografen mit ihren Kameras und Handys brav in Reih und Glied und warten, bis sie endlich einen ungestörten Blick auf den Pavillon haben. Er steht noch dazu in einem wunderschön angelegten Park, der groß genug ist, dass sich die Touristen hier schon etwas aus dem Weg gehen können.

Auf dem Weg durch den Park trifft man auf viele weitere Statuen, darunter eine kleine Gruppe von buddhistischen Stein-Statuen, vor denen eine „Dose“ aufgestellt ist. Der Besucher versucht nun, seine Geldstücke in dieser Dose zu versenken. Gelingt es, wird ihm das Glück hold sein.

Schaut man sich die vielen Münzen an, ist es wohl doch nicht so einfach.

In einigen Tempeln, so auch hier im Kinkaku-ji, gibt es Stempel für die Pilger. Da nicht jeder Besucher über ein Stempelbuch verfügt, werden die Stempel auf Papier gedruckt und dem Pilger mit der Eintrittskarte übergeben.

Good luck and good fortune

Am Nachmittag besichtige ich noch den Nishi Hongan-ji, den buddhistischen Haupttempel der Shinshu, einer buddhistischen Schule aus der Kamakura-Zeit (übersetzt: die Wahre Schule des Reinen Landes). Trotz der frühen Nachmittagsstunde bin ich fast allein hier und kann mir die Bauwerke in Ruhe ansehen. Im Haupttempel findet eine Zeremonie statt, der einige Touristen beiwohnen. Es ist eine sehr schöne, andächtige Atmosphäre.

Draußen steht, wie in den meisten Schreinen und Tempeln, das Wasserbecken zum Reinigen von Hand und Mund.

Für diese Reinigung gibt es ein genau einzuhaltendes Ritual, das vor dem Betreten des Tempels von den Gläubigen einzuhalten ist.

Dazu nimmt man die Kelle in die rechte Hand und schöpft Wasser, das man über die linke Hand gießt. Dann nimmt man die Kelle in die linke Hand und spült die rechte Hand. Mit der rechten Hand schöpft man erneut Wasser und gießt ein wenig in die linke Hand, um den Mund auszuspülen. Das Wasser spuckt man aus, da es sich nicht um Trinkwasser handelt. Das restliche Wasser in der Kelle lässt man sodann am Kellenstiel herabrieseln, um ihn für den nächsten Benutzer zu reinigen. Also ganz schön aufwendig. Keinesfalls darf man mit dem Mund die Kelle berühren! Das ist absolut ungehörig und natürlich unhygienisch – ein Grauen für jeden Japaner.

Und während ich mich vom Hop On/Hop Off-Bus durch Kyoto kutschieren lasse, besucht meine Tochter den Toji-Tempel bzw. die Sannenzaka und Ninenzaka, zwei steile Straßen, die zum Tempel hinauf und hinab führen und von zahlreichen kleinen Läden gesäumt sind. Wie man sieht, eine gefragte (und beschwerliche) Touristenattraktion.

In Kyoto gibt es fast 2000 Tempel und Schreine. Die alle zu besichtigen, dürfte Jahre dauern. Und alle sind wichtig und schön – natürlich. Ein ganz besonderer Schrein aber ist der Fushimi Inari-Taisha, der größte Shinto-Schrein Japans, der der Gottheit für Fruchtbarkeit und Geschäftserfolg gewidmet ist.

Weithin sichtbar sind auch hier wieder hunderte von Fuchsstatuen: Götterboten des Gottes (oder der Göttin) Inari, der/die für Fruchtbarkeit, Reis und Füchse steht. Auch sie tragen rote Lätzchen und den Dharma-Schlüssel im Maul – beides Symbole der magischen Macht der Füchse.

Wer möchte, kann seine Gebete hier in japanischer Schrift auf Holzstäbchen schreiben und in einen dafür vorgesehenen Korb legen. Die Füchse werden sich darum kümmern, dass die Gebete erhört werden. Der ungeübte Nichtjapaner dürfte hier an seine Grenzen kommen.

Gegründet wurde der Schrein wahrscheinlich um 711 und das Besondere sind hier die rund 10.000 roten Torii, die den Weg auf den 233 m hohen Berg Inari säumen. Gestiftet wurden und werden diese Torii unter anderem von Geschäftsleuten, da den Toren die göttliche Eigenschaft nachgesagt wird, geschäftlichen Erfolg und Wohlstand zu generieren. Manche Geschäftsleute müssen Jahre warten, bis sie eines der Torii stiften dürfen. Bleibt zu hoffen, dass sie dann auch wirklich Glück haben, denn der Preis für ein Torii ist nicht gerade klein.

Auf dem linken Pfosten steht der Spender, auf dem rechten das Datum, wann das Torii errichtet wurde.

Blick vom Hügel auf Kyoto

Eigentlich neigt sich unser Aufenthalt in Kyoto langsam seinem Ende entgegen. Eigentlich würden wir jetzt nach Okinawa fliegen und die letzten Tage am Strand und im Wasser verbringen. Das ist uns aber leider nicht vergönnt, denn Sturm und Regen auf dem subtropischen Archipel lassen dieses Abenteuer zu einem nicht abzuschätzenden Wagnis werden.

Was also tun?

Nach langem Hin und Her beschließen wir, in Kyoto zu bleiben – allerdings nicht in der Sardinenbüchse. Wir suchen uns ein neues Hotel mit einem größeren Zimmer. Das liegt zwar nicht ganz so verkehrsgünstig, aber dafür in der Nähe des berühmten Nishiki-Marktes.

Dieser Markt ist täglich bis 17 Uhr geöffnet und zieht sich durch mehrere kleine und größere Gassen, in denen man sich durchaus auch verlaufen könnte.

Die Überdachung ist sehr praktisch! Bei einem unserer Besuche ging plötzlich ein Platzregen nieder, dem kein Schirm standgehalten hätte.

Das Angebot an Waren reicht von Souvenirs über japanische Süßigkeiten, Sake-Verkostungen, Schuhe, Bekleidung bis hin zu Straßenküchen, in denen Fleisch in allen Variationen, Eierspeisen und natürlich Fisch angeboten werden.

Ab mittags wird es hier voll und der Markt der Tummelplatz für Touristen. Und obwohl es so voll ist, macht der Besuch Spaß. Die hundert verschiedenen Gerüche, das Anpreisen der Waren, die Gelassenheit der Shop-Besitzer und der Besucher – das alles trägt dazu bei, dass der Rundgang das reinste Vergnügen ist. Kein Wunder also, dass wir diesen Markt mehrmals besucht haben – nicht zuletzt auch wegen des guten Essens (und damit meine ich nicht Oktopus und Seeigel).

Ginkaku-ji

Da sich unser Aufenthalt in Kyoto nun verlängert hat, besichtige ich noch einen Schrein, nämlich den Zen-buddhistischen Ginkaku-ji, auch Silberner Pavillon genannt (oder im allgemeinen Sprachgebrauch Jishoji-Tempel).

Wie der Goldene Pavillon steht auch dieser Schrein in einer sehr schönen Parkanlage und auch hier sind nicht allzu viele Touristen unterwegs. Was auch hier wieder sehr schade ist: Zahlreiche Treppen und Aufstiege haben kein Geländer. Ich bleibe also wieder im unteren Bereich.

Leider ist auch der Schrein an sich geschlossen, so dass ich nur auf einem Bild sehe, was ich hätte sehen können.

Aber immerhin erhalte ich auch hier einen Stempel für mein nicht vorhandenes Pilgerbuch.

Der Grund aber, warum ich überhaupt hier bin, ist der Tetsugaku no Michi, der Philosophenweg, benannt nach dem Philosophen Nishida Kitaro, der diesen 2 km langen Weg noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts täglich zum Meditieren gegangen sein soll. In vielen Reiseführern ist zu lesen, dass dieser Weg längst kein Geheimtipp mehr ist und sich Massen von Touristen hier vergnügen.

Und so sieht es zunächst auch aus.

Aber nein! Heute jedenfalls ist das Gegenteil der Fall. Was für eine Wohltat nach dem Lärm der Stadt! Ich folge dem Weg vorbei an einem kleinen Bachlauf durch eine grüne Oase und dann weiter bis in die Stadt – wobei die angekündigten 2 km dann doch eher 5 km waren.

Und unterwegs hätte ich mir noch viele andere Schreine und Tempel ansehen können (wie gesagt, in Kyoto gibt es über 2000 davon).

Gesäumt wird der Weg von kleinen Cafés und Souvenirläden, die bei herrlichem Sonnenschein verträumt auf Kunden warten. Die aber nicht kommen. Ich bin fast allein auf weiter Flur. Ab und zu begegnen mir ebenfalls philosophierend-meditierende Japaner. Wir begrüßen uns freundlich verbeugend und ziehen weiter unserer Wege.

Es war ein wunderbar erholsamer Nachmittag!

Kyoto ist definitiv eine Reise wert! Das Flair dieser Stadt ist mit keinem anderen Ort, den wir besucht haben, zu vergleichen. Aber auch hier sind zehn Tage bei weitem nicht ausreichend, um die Stadt wirklich zu erkunden.

Die letzten drei Tage in Japan verbringen wir in Yokohama – und auch das ist wieder eine ganz andere Welt.