Gigantisch, monumental, unbeschreiblich …

Was tut man, wenn man mitten im Sommer zu Hause sitzt und eigentlich unterwegs sein möchte? Man träumt sich in vergangene Urlaube. Zum Beispiel nach Italien im Jahr 2015, genauer gesagt nach Verona – der allseits bekannten Romeo-und-Julia-Stadt.

Man darf es wahrscheinlich gar nicht so laut sagen, aber dieses ganze Romeo-und-Julia-Fieber ging mir ziemlich auf die Nerven. Keine Gasse, kein Platz, kein Geschäft ohne Kinkerlitzchen mit dem berühmten Liebespaar. Selbstverständlich eilte die gesamte Touristenmasse zu dem berühmten Balkon. Das Gedränge war unbeschreiblich

Und was natürlich auch nicht fehlen darf: Jeder, der hier war, musste sich natürlich verewigen. Ich find’s immer wieder schön zu sehen, wie wenig Achtung manche Menschen vor Altertümern haben (das Gebäude ist immerhin gut 800 Jahre alt!).

Aber Verona hat zum Glück nicht nur ein Liebespaar zu bieten, sondern im Herzen der Stadt ein Amphitheater von ganz besonderem Flair und Ausmaß: die Arena.

Ein Amphitheater ist ein römisches Rundtheater mit ansteigenden Sitzreihen, so dass jeder Zuschauer von jedem Platz aus gleich gut sehen kann. Es diente zunächst als Schauplatz von Gladiatorenkämpfen und erst in späteren Jahren wurden hier auch Theaterstücke aufgeführt.

Die Arena von Verona ist nach dem Kolosseum in Rom und der Arena in Capua zwar „nur“ das drittgrößte Amphitheater, aber dafür das am besten erhaltene. Gebaut im 1. Jahrhundert nach Christus, wurde sie zum Teil im 11. Jahrhundert durch ein Erdbeben zerstört (nur ein Flügel der Außenmauer aus fünf Pilastern und Arkaden ist bis heute erhalten geblieben). Allein die Größe der Bühne ist unvorstellbar: 1.500 m². Kein Wunder also, dass eine Vielzahl von Komparsen benötigt wird, um beispielsweise ein Heer darzustellen. Da reichen 50 Leute nicht aus. Die würden sich ja auf der Bühne verlieren. Für Aida wurden beispielsweise 400 Legionäre auf die Bühne gebracht. Das stelle man sich in einem normalen Theater vor.

Ob wir ihn heute Abend erkennen?

Ein Highlight dieser Aufführungen sind die jährlich stattfindenden Opernfestspiele. Man kann natürlich versuchen, kurzfristig ein Ticket zu bekommen, die Chancen dafür stehen aber eher schlecht (zumindest, was preisgünstige Karten betrifft), der Vorverkauf beginnt schon ein Jahr im Voraus.

Wir, bestehend aus meiner Reisegruppen geschätzter Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt, können natürlich nicht widerstehen und freuen uns auf einen Opernabend mit Guiseppe Verdis Aida.

Wer nicht gerade die teuren Plätze im Innenraum hat, sondern sich einen Platz auf den nicht nummerierten Steintreppen ergattern muss, tut gut daran, möglichst früh Schlange zu stehen.

Auch sollte man ein Sitzkissen nicht vergessen (die aber auch von fleißigen Händlern vor der Arena verkauft oder von genauso fleißigen Helfern in der Arena verliehen werden), denn die Steine können bei diesen hochsommerlichen Temperaturen extrem heißen werden! Auf den billigen Plätzen darf man übrigens in leichter Sommerbekleidung erscheinen, auf den teuren Plätzen im Innenraum wird zumindest elegante Kleidung erwartet.

Wie gesagt, müssen wir erst einmal anstehen, was bei diesen Temperaturen und der auch um 19:00 Uhr noch erbarmungslos brennenden Sonne nicht wirklich vergnüglich ist. Aber was tut man nicht alles für die Kunst. Die Oper selbst beginnt gegen 21:45 Uhr, als es bereits dämmert und sich zudem ein Fast-Vollmond über dem unvergleichlichen Bühnenbild erhebt.

Die Arena bietet Platz für 20.000 Zuschauer – das ist schon eine Macht! Und langsam füllen sich die Steintreppen mit gut gelaunten und vor allem auch sportlichen Menschen: Es gibt 45 Ränge und die Stufen sind ebenfalls jeweils 45 cm hoch.

Inszeniert wurde diese Aufführung von dem italienischen Theater- und Opernregisseur Franco Zeffirelli, der 1969 für seine Filmregie bei Shakespeares Romeo und Julia für einen Oscar nominiert wurde. Als Dirigent konnte Daniel Oren aus Israel gewonnen werden, der auch in dieser Aufführung wieder einmal brillierte. Unterstützt werden sie dabei von dem aus Verona stammenden Balletttänzer, Regisseur und Choreographen Renato Zanella, der damals auch der Leiter des Ballettensembles der Fondazione Arena di Verona war. Die Kostüme der Sängerinnen und Sänger stammen noch von der 2011 verstorbenen Kostümbildnerin Anna Anni, die u.a. lange Jahre an der Arena di Verona gearbeitet hat.

Das Schicksal der ägyptischen Sklavin Aida dürfte hinreichend bekannt sein, so dass ich hier auf eine Inhaltsangabe verzichte. Aufgeführt wird die Oper in 4 Akten und sie dauert insgesamt knapp 150 Minuten, dazu kommen 2 Pausen von ca. 15 Minuten. Diese Dauer fordert zwar auch den Zuschauern Einiges ab, denn selbst die Sitze im Innenraum sind nicht gerade bequem, aber die Aufführung an sich ist so hinreißend und temporeich, dass man gar nicht dazu kommt, sein Unbehagen zu bemerken.

Mir haben He Hui als Aida und Alberto Mastromarino als Amonasro am besten gefallen. He Hui, die chinesische Sopranistin, die auf allen internationalen Bühnen zu Hause ist, hat so wundervoll gelitten – nicht nur mit ihrer Stimme, sondern auch mit ihrer Körpersprache, dass der Zuschauer gar nicht anders konnte als mitzuleiden.

Dieser Abend war ein Hochgenuss, nicht nur musikalisch, sondern auch und vor allem aufgrund des ungewöhnlichen Ambientes. Verdis Aida wurde hier im Jahr 1913 uraufgeführt und begeisterte schon damals die Massen. Von dieser Uraufführung geblieben ist die Tradition, vor Beginn der Oper Kerzen zu entzünden (damals war die Arena noch nicht elektrifiziert). Der Anblick ist schon ziemlich atemberaubend. Dazu das wirklich bombastische Bühnenbild, der Mond, die hell leuchtenden Sterne am Nachthimmel … kurz gesagt, da stimmte einfach alles und jedes Detail trug zu einem Gesamtbild bei, das unvergessen bleibt.

Ob man nun Oper mag oder nicht: Dieses Spektakel sollte man sich nicht entgehen lassen! Ich wage sogar zu behaupten, es lohnt sich, mal einen Urlaub rund um das Opernfestival zu planen – und daneben noch viele andere schöne Dinge in Verona zu sehen und zu erleben.

Ponte di Castelvecchio