Eine Reise mit Havila Voyages an der Küste entlang durch das Land der Trolle.

Von Bergen bis zum Polarkreis

Schon lange gewünscht, aber nie so richtig die Gelegenheit gehabt, ist es jetzt soweit: Mit dem Elektro-Postschiff geht die Reise von Bergen bis Kirkenes und zurück. 34 Häfen stehen auf dem Programm, in manchen sind es nur ein paar Minuten Aufenthalt, in anderen steht genug Zeit für kleinere und größere Ausflüge zur Verfügung.

Das angebotene Ausflugsprogramm ist jedenfalls sehr umfangreich und bietet eigentlich für alle Interessen etwas.

Dies ist nicht nur meine erste Reise in ein nordisches Land, sondern auch meine erste Kreuzfahrt. Ich lasse mich überraschen …

Schon beim Einchecken das erste Problem: Der Computer streikt. Macht aber nichts, wir können unser Gepäck schon mal aufgeben und warten eben noch ein wenig im Café, bis auch die Fahrgäste eingecheckt werden können. Das geht dann auch relativ fix und schon sind wir fast an Bord. Aber vorher gibt es noch per Video eine nette, schnelle Sicherheitseinweisung, an die ich mich schon an Bord nicht mehr erinnere.

Ich bin von der Größe meiner Kabine und der Einrichtung recht überrascht. Das Badezimmer ist etwas gewöhnungsbedürftig. Direkt über dem Mini-Waschbecken sind die Zahnputzbecher angebracht, was beim Waschen eher hinderlich ist – soll heißen, man bekommt die Fußwäsche gleich dazu. Aber das spart dann eben Zeit. Schön wäre ein Badvorleger.

Das erste Abendessen ist sehr gut. Wenn das so weitergeht, gibt es nichts zu meckern (gab es dann essenstechnisch im Hinblick auf Auswahl und Qualität auch während der ganzen Reise nicht).

Nach einer ruhigen ersten Nacht legen wir früh morgens in Ålesund an.

Hier wartet auch gleich die große Tour zum Geirangerfjord auf uns. Die Fahrt erfolgt mit einem Katamaran und unsere kleine Gruppe wird von zwei Fjord-Rangern, Ioannis (Grieche, für die englischsprachige Unterhaltung zuständig) und Ken (der sich um die deutschen Touris kümmert), am Kai in Empfang genommen. Nach einem kleinen Fußweg von 20 Minuten sind wir an unserem Ausflugsboot angekommen. Schon auf dem Weg kommen wir mit Ken ins Gespräch. Wir sind ja neugierig. Was hat ihn nach Norwegen verschlagen? Ken kommt ursprünglich von der Uni Bonn und schreibt in Ålesund an seiner Doktorarbeit über die Luftverschmutzung am Geirangerfjord durch Kreuzfahrtschiffe. Gutes Thema! Dementsprechend sind die Informationen, die wir im Verlauf der dreistündigen Fahrt erhalten: teils recht wissenschaftlich, aber verständlich, und vor allem zum Nachdenken anregend. Daneben erfahren wir viel über das Leben der Bewohner entlang diesem Küstenabschnitt, wie es so vor gut 400 Jahren ausgesehen hat.

Wir erfahren, dass hier eine der letzten angeblichen Hexen Norwegens lebte, die den Unmut der umliegenden Bauern auf sich gezogen hatte, weil ihr Vieh so prächtig gedieh. In Vardø gibt es sogar ein Hexenmahnmal, das an die unzähligen Opfer erinnert.

Wir erfahren weiter, dass es in diesem Teil Norwegens damals keine Straßen gab und die einzige Möglichkeit übers Wasser führte. Das wurde besonders zum Problem, wenn jemand krank wurde und einen Arzt benötigte. Da war die Muskelkraft mehrerer Männer nötig, um die 70 km nach Ålesund im Ruderboot zurückzulegen. Das hieß 15 Stunden hin, 15 Stunden zurück und dann wieder 15 Stunden, um den Arzt zurückzubringen, und noch mal 15 Stunden, um wieder nach Hause zu gelangen. Da kann man nur hoffen, dass die Bergbauern eine wirklich gute Konstitution hatten.

Dieses entbehrungsreiche Leben hielten viele Bauern dann auch einfach nicht mehr aus. Sie verließen ihr Heim und zogen weiter. Vereinzelte verfallene Gehöfte an den Berghängen sind auch heute noch stumme Zeugen.

Mit einigem Schrecken hören wir, dass von einem dieser Berge (Åkernes) eine große Gefahr ausgeht. Es wird definitiv zu einem dramatischen Bergrutsch kommen, aber niemand weiß, wann. Das kann in einem Monat oder in 5000 Jahren sein. Der Berg wird sehr genau überwacht, denn wenn er in Bewegung gerät, wird er höchstwahrscheinlich eine Monsterwelle von 20 m Höhe auslösen, die sämtliche Bergdörfer um ihn herum hinwegschwemmt.

Ein wenig später nähern wir uns den sieben Schwestern und ihrem Freier. Bei den sieben Schwestern handelt es sich um sieben nebeneinander aufgereihte Berggipfel, die normalerweise wunderbar anzusehen sind, aber wir haben leider (schon wieder) einen Regentag erwischt – da geht die Schönheit verloren. Aber das nur am Rande …

Besagter Freier wollte eine der sieben Schönheiten freien und fragte eine nach der anderen, ob sie ihn heiraten wolle. Keine von ihnen wollte das (schlaue Schwestern). Daraufhin erging er sich in Alkohol und trank so viel, dass der Wasserfall die Form einer Flasche annahm. Und nicht nur das: Er scheint immer noch dem Alkohol zu frönen! Während die Wasserfälle der sieben Schwestern eingefroren sind, verhindert wohl der Alkoholgehalt des Freiers, dass auch er einfriert. Jedenfalls sprudelt er munter in den Fjord.

Der Regen an diesem Tag ist wirklich unangenehm. Es ist nicht nur nass, sondern auch kalt. Es liegt hier kaum Schnee und fast alle Wasserfälle sind eingefroren und bezaubern mit bizarren Formen.

Vom Hafen in Geiranger aus geht es dann mit dem Bus hinauf zum Aussichtspunkt Flydalsjuvet. Der Anblick des Fjords von hier oben ist atemberaubend – trotz des schlechten Wetters. Man ahnt, wie schön es hier im Sommer aussehen muss (ob man allerdings im Sommer hier sein möchte, wenn sich von Juli bis September rund 1 Million Besucher in den Ort ergießen, ist fraglich). Dass der Geirangerfjord UNESCO-Weltnaturerbe ist, kann man verstehen, und dass er zu den schönsten Fjorden Norwegens zählt, ist unbestritten.

Nach einem kurzen Besuch im Besucherzentrum Welterbe Geiranger geht es zurück aufs Boot. Nach weiteren drei Stunden sind wir wieder in Ålesund.

Der Ausflug ist nicht ganz preiswert, aber sein Geld wert. Wer noch nie den Geirangerfjord gesehen hat, sollte sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. Und wer mutig genug ist, kann diese Fahrt auch bei einem der örtlichen Anbieter buchen und hoffen, dass er rechtzeitig zur Abfahrt des Schiffes wieder in Ålesund ist.

Am nächsten Tag steht Trondheim auf dem Programm. Ausflüge werden viele angeboten, aber ich klinke mich hier aus, obwohl ich den Nidaros-Dom sehr gerne gesehen hätte. Vielleicht ergibt sich ja die Gelegenheit auf dem Rückweg.

 

Nidaros-Dom, © MJ

Und dann ist es soweit: Am Morgen des dritten Tages nähern wir uns dem Breitengrad 66,57° – dem Polarkreis. Wir überqueren ihn gegen 7:30 Uhr. Trotz der frühen Morgenstunde leuchtet unser Kapitän die Weltkugel auf der kleinen Insel Vikingen freundlicherweise an, damit wir sie im Dunkeln auch gut erkennen können. Aber was soll ich sagen? Ich war mal wieder zu spät. Doch zum Glück kenne ich frühaufstehende Mitreisende, die mir freundlicherweise ein Foto überlassen.

 

© MJ

Zur Feier des Tages gibt es für alle, die sich trauen, am späten Vormittag eine Polarkreistaufe auf dem Außendeck. Das Wetter lässt immer noch zu wünschen übrig, aber immerhin regnet es weniger. Und so treffen sich gegen 10:30 Uhr gut gelaunte Seefahrer an Deck und harren der Dinge, die da kommen. Die kommen zunächst in Form unserer Reiseleiterin Hild, die in ihrer unnachahmlichen Art für Stimmung sorgt.

Sie weiß nicht genau, ob Njörd – der nordische Gott des Meeres und des Windes – Zeit für die Taufe hat. Aber nachdem die versammelte Gemeinschaft ihn lautstark gerufen hat, erscheint er mit den (in perfektem Oxford English gesprochenen) Worten: „Oh God, you poor humans. Let me make my appearance known“. Und dann versucht er, in sein Nebelhorn zu blasen, was natürlich zunächst nicht gelingt. Beim dritten Mal aber kündigt er sein Kommen ordnungsgemäß an und nun können alle, die sich der Polarkreistaufe stellen wollen, Mitglied seiner göttlichen Familie werden. Und er kann viele neue Mitglieder willkommen heißen

Das Taufbecken

Njörd

Die Taufe besteht nun darin, sich eine Kelle mit Eiswürfeln und Eiswasser in den Nacken gießen zu lassen – bei den herrschenden Temperaturen durchaus eine Heldentat!

Wie ich später von einigen Täuflingen höre, waren nicht die Eiswürfel das Problem, sondern das Eiswasser, das sich bis in die Socken verirrte. Es war jedenfalls ein Heidenspektakel. Selbstverständlich wurden die Eisgetauften mit einem Getränk belohnt.

Den Rest des Tages verbringen an Bord und hoffen auf besseres Wetter für die nächsten Tage. Schnee wäre schön. Oder einfach mal kein Regen.

Aber jetzt liegt erst noch ein entspannter Abend vor uns. Den haben wir uns nach so viel Aufregung auch verdient!